Die Geschicht‘ vom Borkenmann

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Aus „Mein Volkstümliches Galladoorn“ von Ertzel Jasper von Adelbruck Grimmelshausen

Viele Legenden ranken sich um diesen alten Kauz, und sie alle weißen darauf hin, das sich diese Gestalt in den Auen und Waeldern der Hohen Marschen aufhaelt, so es diesen seltsamen Kauz denn geben sollte. Jaeger und Holzfaeller, Fallensteller und Wilderer erzaehlen sich des Abends Geschichten ueber eine duestre in braune und graue Lumpen gekleidete, schemenhafte Gestalt. Leis‘ murmelnd und singend geht sie an den Ufern der kleinen Seen dieser Gegend auf und ab, in die dunklen Fluten starrt sie, als wuerd‘ sie etwas suchen was sie niemals zu finden hofft.
Wenn der Nebel heraufzieht und die Taeler des Morgens und zur Abendstund‘ in seine kuehlen Arme nimmt, das ist ihre Zeit, dann geht sie um. Es mag dem geneigten Leser, welcher ueber eine anstaendige Bildung verfuegt, wohl gar seltsam anmuten, doch diese aberglaubische Furcht vor diesem Manne ist nicht ganz unbegruendet, denn unter seinen seltsamen Lumpen haust, soll man den Geschichten glauben, ein finstrer, dem Menschen nicht wohlgesonnener Geist. Denn einst, so lautet eine Geschicht‘ , lebte ein Mensch, ein guetiger und weiser Mann, ein Druide vielleicht oder ein Heilkundiger Weiser. Manche erzaehlen sich von einem Priester des Drachen, welcher tief in den Waeldern Leuterns lebte und den Leuten der umliegenden Doerfern mit Rat und so manchem Kraeutlein zur Seite gestanden hat. Er muss, so sagen es die Alten, ein großes, guetiges Herz besessen haben. Mit einem Platz fuer jeden, ob Mann oder Weib, ob Mensch ob Tier. Er muss gerecht und weise, wissend und guetig gewesen sein, so sehr, dass die Leute der Marschen in nur noch „den Wanderer mit dem goldenen Herzen“ nannten.
Eines nebligen Morgens im Fruehling jedoch ,auf einer Lichtung unweit einer großen alten Weide, einen Platz voll alter Macht. Dort wo die Namen noch immer gefluestert werden und die Erde selbst sich noch der alten Schwuere erinnert, dort sah er im Schein der morgendlichen Sonne, als diese durch die Nebel blitzte, ein Maidlein schoen wie der Fruehling. Rein und anmutig schritt sie durch die Schachtelhalme und Dotterblumen, welche ehrerbietig ihre Haupter ob ihrer Schoenheit neigten. Denn sie war, so schien es dem alten Wanderer, die schoenste aller Blumen in allen Taelern dieser Welt. Barfuss stand sie dort von der Morgensonn‘ umspielt,und der alte Mann ward verloren.
„Was kann ich tun, euch zu gewinnen?“ fragte er und mit einem Lachen sprach das Maedchen: „schenkt mir Euer Herz, Wanderer, schenkt mir Euer Herz aus Gold…“ und verschwand im Schilf der Uferboeschung. Und so lief er ihr nach und suchte sie jahrein, jahraus und vergaßs die Leut‘ aus den Doerfern, vergaßs die Tiere im Wald, vergaßs die Pflanzen und die Bauume. Alsbald vergaßsen ihn auch die Leut‘ und man erzaehlte sich die Geschichte abends an den Feuern, bis an einem schoenen Fruehlingsmorgen ein Flußfischer, welcher frueh mit dem Morgengrauen ausgefahren, den Dorfleut‘ folgend seltsam’ Begebenheit erzaehlte:
Er sah im morgendlichen Nebel zwei Gestalten am Flusse stehen, die eine lieblich und wohlgestalt, die andere hager und in Lumpen gekleidet. So standen sie sich gegenueber und der Hagere reichte der Schoenen einen Stein, der bernsteinfarben im Morgengrauen leuchtet, wie eine kleine Sonne. Licht und Waerme spendete der Stein und des Fischers Herz war mit Freude und Frieden erfuellt. Die Beschenkte ward‘ in eben jenes Leuchten getaucht, fuer einen kurzen Moment nur, dann hallte ein hohes und spoettisches Lachen ueber den Fluss heran und das Weib nahm ihr Geschenk und warf es, ihres Glanzes beraubt, weit hinaus in die Fluten und ward‘ niemals wieder gesehen.
Und auch wenn in den Flueßen und Auen der Leuternschen Marschen immer wieder Bernstein gefunden wird, so ward‘ noch keiner damit gluecklich geworden, den der Borkenmann, so erzaehlt man es sich, geht um in den Waeldern und sucht seit vielen Generationen nach seinem Herz und seinem Weib…

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