Die Legende des Drachentöters

Eine altertümliche Volkserzählung aus dem Königreich Galladoorn. Wahrscheinlich entstanden in einer Zeit vor dem Tag der Dämmerung. Zusammengetragen aus der mündlichen Überlieferung der ländlichen Bevölkerung und so niedergeschrieben, wie sie des Abends an den Feuern der einfachen Leute erzählt wird, von Bertram Kaltenberg, Bibliothekar ihrer Majestät Viviane von Eichenhain am Hofe zu Königsstolz.

„Es war einst, in jenen fast vergessenen Dunklen Tagen, in denen die mächtigen Drachen noch zahlreich die Lande bevölkerten und das alte Böse sich erhoben hatte, um die Länder der Flussgeschwister dem Lichte zu entrücken und unheil’ge Herrschaft zu errichten, dass ein großer Krieger erschien, hoch gewachsen und vom edelstem Blute. Sein leuchtend’ Antlitz erhellte sämtliche Gemüter, vom einfachen Manne bis hin zu Königen selbst. Und gesegnet war er vom Großen Drachen, mit einer mächt’gen Kraft seine Feinde zu schlagen. Ein großer Kriegsherr war er, ein strahlender Held, ein glorreicher Anführer und sein Name zu dieser Zeit war Ar’Athor. Mit mutg’er Tat bezwang er das alte Böse und trieb es zurück in die Vergessenheit, lange bevor die Flüsse ihren heutigen Läufen folgten. Dies war vor seinem Fall.

Doch das alte Böse, geschlagen und vertrieben, ersann in dunklem Versteck finstere Rache. Hierbei tat sich ein Mächtiger des alten Feindes hervor, dessen Name wie der Klang des Todes ist. Sein Name durfte nicht gesprochen werden, und daher nannten die Leute des Volkes der Flussgeschwister ihn Karka’Adoon, den Kerkermeister. Mit düsterem Geschick lenkte er das Schicksal jenes Mannes, der ihren uralten Absichten zu trotzen gewagt hatte. So lange beeinflusste er Ar’Athors Weg, bis zu jenem Tag, an dem der große Kriegsherr ihm in die Falle ging. Ar’Athors kleine Schar war schnell zerstreut und er selber fiel lebend in die Hand des Kerkermeisters. Dieser schmiedete ihn mit magischen Ketten an einen Felsen, verborgen in den Drachenhöhlen im Fundament der Welt, und dort gewährte er ihm mit schwarzmagischer Kraft einem Blick auf den drohenden Untergang von allem, was er je geliebt hatte. Obwohl der stolze Kriegsherr anfangs widerstand, so fiel er doch mehr und mehr den Bildern und den Einflüsterungen des alten Feindes zum Opfer und sein Geist verwirrte sich unter dem Gift, dass seine Seele durchdrang. Dies war sein Fall.

Mit großer Macht zog der alte Feind wieder gegen das Land der Flussgeschwister. Mit großer Grausamkeit wütete das Böse in den Reihen der Gegner. Schwach und verzweifelt war deren Gegenwehr, denn Karka’Adoon hatte sich viele Drachen mit schwarzmagischer Kraft unterworfen, die er rücksichtslos gegen das Volk der Flussgeschwister einsetzte. Es bereitete ihm ein bitteres Vergnügen seine Feinde durch die Macht ihres heiligsten Wesens zerschmettert zu sehen. Und unter der Erde wand sich Ar’Athor in seinen Ketten, denn noch immer zeigte ihm Karka’Adoons Fluch jenes, was auf dem Boden seiner Heimat geschah. Seine Schreie hallten wider von den Grundfesten der Erde. Und in seinen Schreien beschwor er den Großen Drachen einzugreifen und seinen Leuten zu helfen oder ihn zu töten. Doch nur Stille war seine Antwort, denn niemand hörte ihn.

In dunkelster Nacht löschten die Drachen Karka’Adoons die Heere ihrer alten Widersacher aus. Und wie eine Totendecke aus versengendem Feuer zogen sie nun durch die Lande und brachten Verderben dem Volk der Flussgeschwister, während das alte Böse triumphierend seine Krallen nach dem verbrannten Land ausstreckte, um es endlich in Besitz zu nehmen. In dieser Stunde trat Karka’Adoon vor Ar’Athor, der gepeinigt von den Bildern des Schreckens in den Ketten hing. Höhnisch lachend löste der Kerkermeister die Ketten seines Gefangenen und entließ den ehemaligen Kriegsherren in die Freiheit, um die Rache an dem Widersacher des alten Bösen zu vollenden. Ausgehöhlt und gebrochen betrat Ar’Athor die Erde seiner Heimat. Verändert war er nun. Leid zeichnete sein finsteres Gesicht und nichts Edles oder Starkes war mehr in seinem Blick. Und als er sah, dass alles vernichtet war, so wie er es gesehen, brach er in Tränen aus, fiel zu Boden und weinte bitterlich. Etwas starb in ihm und verging für alle Zeit. Karka’Adoon hatte seine Rache bekommen.

In diesem Augenblick erschien der Kerkermeister, um sein Spiel zu beenden. Er hatte Ar’Athor alles genommen, alles an und in ihm zerstört und seinen Geist gebrochen. Nun wollte er ihn nur noch selbst töten, damit er nie wieder eine Gefahr darstellen könne. Als der niedergeworfene Ar’Athor seinen Verderber erblickte, der geringschätzig auf ihn herablächelte, erwachte etwas Dunkles in ihm. Nie gekannte Wut und tödlicher Hass stieg in dem ehemaligen Kriegsherren auf und auch der Rest von Ar’Athor starb und verging für immer. Ein düsterer, unbändiger Wille erfüllte nun die Hülle Ar’Athors und eine schwarze Seele nahm den Platz im Körper des Kriegsherren ein. Und von dem Boden, auf den Ar’Athor gestürzt war, erhob sich ein unheimlich finst’res Wesen mit vor Hass glühendem Blick.

An diesem Tage endete das unwerte Leben Karka’Adoons. Die Legende berichtet, dass sein Schreien und Wimmern in den Winden, die das Land durchstreifen noch heute leise zu hören ist. Die Gestalt aber, die einst Ar’Athor war, begann einen anderen Feind zu jagen. Und auf ihrem Weg begann sie ohne Gnade zu töten. Sie verdarb die Heere des alten Bösen und sie löschte die Drachen Karka’Adoons aus, wo sie diese auch fand und noch viele mehr. Die dunkle Gestalt mit dem Gesicht Ar’Athors hatte keinen Namen mehr. Daher nannten die Leute sie den Drachentöter. Und seitdem keine Drachen mehr in das Land der Flussgeschwister kommen, jagt die Gestalt den Großen Drachen selbst, den Ersten und Letzten der Drachen, den Einen, der ihn und seine Leute verraten und verlassen hat. Für viele Jahre jagte der Drachentöter unermüdlich den Großen Drachen und sein Hass hielt ihm am Leben, während seine sterbliche Hülle um ihn herum verfaulte. Und als sein Körper schon längst Tod und zu Staub zerfallen war, jagte er weiter und dies tut er bis zum heutigen Tage. Doch er ahnt nicht, dass er seinen meistgehassten Feind niemals finden wird. Man kann den Großen Drachen nicht jagen, ihn nicht finden und ihn auch nicht bezwingen. Denn der Große Drache ist überall und um uns herum. Zwecklos ist des Drachentöters Jagd. Nutzlos sein Hass. Vergeben seine Kraft. Seinen Feind findet er nicht. Seine Rache bekommt er nicht. Die Ewigkeit entlässt ihn nicht.

Bisweilen, heißt es, taucht des neblig Nachtens ein gräulich’ Wesen auf. Es geht um in Gegenden, die kurz zuvor vom Kriege berührt wurden. Die Lanze mit der Drachenklaue, der Helm mit den Hörnern und ein Schild mit Drachenzähnen besetzt sind seine Zeichen. Umweht wird seine finst’re Gestalt von einem zerfetzten Umhang. Oft begleitet ihn ein struppiger, schwarzer Wolfshund mit bösartig glühenden Augen, den die Leute Bériak nennen, den Kehlenbeißer. Woher der Wolfshund kommt, weiß niemand, doch ihn treibt derselbe Hass an wie seinen Gefährten. Sie kommen um zu töten die Drachen, wo immer sie sich befinden sollten und um am Ende IHN zu finden, den Einen. Das ist die Queste des Drachentöters, dies ist seine Ewigkeit und sein Schicksal. Und da er den Einen nicht finden kann, holt er sich zuweilen eine andere Seele, um seinen unheil’gen Hass zu stillen, um sich Leiden anderer zu laben, so wie er einst zu leiden hatte. Manchmal tötet er nur Tiere, manchmal tötet er Menschen. Aber oft schon nahm er sich die Seele von so manch unschuld’gem Kinde. Er ist eine verlorene Seele, die dort draußen in der Dunkelheit der Nacht umhergeht und niemals in die Goldene Stadt einkehren wird, denn er wird seinem Fluch, seinem Hass niemals entrinnen.“