Die alte Hagensuse

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Aus „Mein Volkstümliches Galladoorn“ von Ertzel Jasper von Adelbruck Grimmelshausen

Einst lebte im schoenen Lande Dornengrund eine weise, alte Frau. Sie war die Mutter vieler Kinder und stets voll Guete und Rat. Sie lebte still und zufrieden in einem mit Grassoden bewachsnen Haus und in ihrem Gaertlein wuchs’ allerhand nuetzliches Kraut und heilend’ Gewaechs. Die braven Bauern und Jaegersleut’ aus den Landen versorgten sie mit Speis’ und sie hatte fuer jedes Zipperlein die richt’ge Tinktur und fuer jeden Herzensschmerz den guten Rat. Und so saß die Alte, von jedem nur die alte Haage oder die Haagensuse genannt’, Tagein- Tagaus auf ihrer Bank in ihrem Gaertlein und blinzelte in den Tag. Freute sich am Lachen der Kinder und dem Rufen der Maenner und Frauen auf den Feldern. Und alle drei Tag lief sie uebers Land um nach dem Rechten zu sehn.
Eines Tages traf sie einen schwarzen Raben, auf einem Pflock am Rande eines Ackers sitzend. Der Rabe sah sie an und sprach: „ Alte Suse sag, warum lacht dein Auge stets, wo du doch schon alt und grau und deine Jugend lange schon dahin?“
Und die Alte sprach: „ Mein altes Herz ist voller Weisheit und Erfahrung, und doch erblick’ ich stets Neues in der Welt, und darob muss ich laecheln“ Am naechsten Tage traf sie einen Kater, sein Pelz ward’ dunkel wie Kohle und der Kater strich ihr um die Beine und sprach: „ Alte Haage, sag, warum hast du immer guten Rat zu geben und niemals scheinst du dich zu irren?“
Und die Alte sprach: „ Ich, lieber Streuner, habe gelernt stets darauf zu trauen, was mein Herz mir sagt. Denn egal wie schwer die Not, einen Ausweg gibt es stets.“
Am naechsten Tage traf sie einen Greifen, sein Gefieder schwarz und sein Fell noch dunkler und der Greif sprach zu ihr: „ Ach alte Haagensuse, sag, warum trauerst du nicht, denn all die Freunde aus der Jugend sind schon lange tot, nur du bist noch uebrig von der alten Zeit.“ Und die Alte sprach: „ Seid doch kein Narr, Herr Greif, was soll ich ueber Tote trauern, wenn ich meinen Enkel lachen hoehre oder ich dessen kleinen Sohn in den Schoss gelegt bekomme?“
Am darauffolgendem Tag zog ein fuerchterliches Unwetter auf. Drei Tage und drei Naechte wuetete der Sturm und am vierten Tage wollt’ die Sonne nicht mehr scheinen. Zwielicht ueberzog das Land und erfuellte die Herzen der Menschen mit Furcht und Grausen. Und nicht einmal das Alte Volk aus den Waeldern oder die kleinen Leut’ unter den Huegeln wussten Rat und so kamen die Menschen zu der Alten Suse um Rat und Trost zu finden. Die Alte sagte ihnen, sie werde um eine Antwort suchen, sprachs, nahm ihr Buendel und ging uebers Land.
Doch auch das Land wollt nicht sprechen, es war als laege ein Bann auf allem. Und die Alte Suse sah, dass die Ernte verloren ward. Sie sah die Rosenblueten welken und das Vieh im Siechtum liegen. Alle Farben schienen verblasst und die Menschen waren starr vor Angst und ohne Hoffnung. Am vierten Tage traff sie einen Mann. Großs an Wuchs und hager, sein Schaedel kahl, seine Augen schwarz wie Kohle und Kolk und tiefer als die Nacht. Und die Alte schauerte, den zu ihr sprach der Wiedersacher.
„Nun, ist dir dein Herz immer noch so leicht, altes Weib? Dauert es dich nicht, dass du nichts Neues mehr erblicken wirst, jetzt wo die Tage in deiner Heimat stets grau sein werden. Trauerst du nicht um die Kinder die nun des Hungers sterben muessen? Und ist es dir nicht ein Arges, das du keinen Ausweg weist ? Doch glaube mir, altes Weib, all das mag ich abwenden von deinen Lieben, magst nur dein Herz mir dafuer geben.“
Und die Alte sprach: „ So sei’s dann, Grausamer. Ende deinen Fluch und kommst du mein Herz im Morgengrauen holen, so sei es dein.“
Sodann ging die Alte ein letztes Mal durch das Land, das sie so sehr liebte und ihr wurd’ zum ersten Mal in ihrem Leben das Gemuet schwer. Und so lief die alte Hagensuse durch die gruenen Auen und Huegel ihrer Heimat und vergoss bittere Traenen, rot wie Herzensblut. Doch ueberall, wo sie zu Boden fielen oeffnete sich das Land und barg sie in sich, und als die letzte Traene aus ihren Augen lief, da war ihr Herz ganz leer und leicht und die Alte fiel zu Boden und starb.
Als am naechsten Morgen jener mit den Tausend Namen kam, schrie und fluchte er laut, den die alte Suse hatte kein Herz mehr. Nirgendwo vermochte der Finstre es entdecken und die Duesterniss fiel vom Lande ab, den er ward an seinen Pakt gebunden. Und er heulte und zeterte und verließ die Lande und ward nicht mehr gesehen.
Im naechsten Fruehling jedoch sprossen in ganz Dornengrund praechtige Hagebuttenstraeucher aus der Erde und die Kinder sammelten die roten Fruechte im Herbst, auf dass der großse Schatten niemals das Herz der alten Hagensuse finden mag, Auch pflanzten die Maedchen neue Buesche im ganzen Land, und das tun sie bis zum heutigen Tage noch.

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