Die Wildfrau zu Kargland

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Aus „Mein Volkstümliches Galladoorn“ von Ertzel Jasper von Adelbruck Grimmelshausen

In einer Hoehle auf der Steinalb zwischen den Bergen von Tron und Kargland gelegen lebte in einer Hoehle eine furchtbare Frau. Wild war sie und hatte rabenschwarze Augen und Haare und ward’ wohl in alten Zeiten von einem andren Volke dort zurueckgelassen. Ein krummer Dolch und eine grosße Holzkeule waren ihre Waffen und gierig fletschte sie ihre Zaehne sollte ihr einer zu Nahe kommen. Ihre dunklen Augen fraßen den Mut der tapfersten Maenner. Denn sie kleidete sich in fettige Rabenfedern und blutige Wolfspelze, was den Eindruck der Wildheit nur noch erhoehte.
Beeren und Wurzeln, wilde Pilze und Krauter und das rohe Fleisch von Ebern und Hirschen, von Baeren und Woelfen, war ihre Nahrung. Dis sie zwischen den Steinen muerbe klopfte. Nachts streifte sie durch die Felder und die Haeuser, wo sie sich oft durch den Rauchfang in die Vorratskammer der braven Tronner Bauern herab ließ. Und wurde sie ertappt, so stieß sie einen furchtbaren Kriegsschrei aus, schrill und hoch wie das Kreischen eines Bussards. Alle Ungluecksfaelle wurden ihr zugeschrieben. Ging ein Lamm verloren oder war die Ernte schlecht, oder vermisste man ein Kind, so war meist die Wildfrau die Moerderin und Menschenfresserin. Doch auch wenn sich alle Maenner der Gegend, stattliche und tapfere Tronner Bergburschen, zusammengetan haetten und ihre Angst vor der wilden Frau ueberwunden, so war die Hoehle doch mit einem Zentnerschweren Stein verschlossen. Diesen schob die wilde Frau des Abends stets vor ihren Hoehleneingang. Und nicht mit vereinten Kraeften war er dort wegzuschaffen.
Irgendwann jedoch verschwand die Wilde Frau einfach so in den Tronner Bergen und Waelder und ward’ nie mehr gesehen, jedoch glauben viele Karglander Maenner heut’ noch, das ihre Frauen von dieser Wildfrau abstammen.

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