Zabyt – Die Vergessenen

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aus: „Dunkle Schatten, alte Wälder – Das Buch der Spuk- und Schreckgestalten“
von Walentin Sorokin und Gawrill Tretjakov

 

 „(…) Danilo folgte den gar Herz erweichenden Weinen bis zu einem umgefallenen Baum nahe dem dunklen Sumpf. Dort saß ein junges Mädchen. ‚Mädchen, was weinst du? Hat dir etwa wer böses Leid angetan?‘, so sprach Danilo, doch das Mädchen schwieg. Feucht waren ihr Kleid und Haare und mit Sumpfgraut bedeckt. Da legte der Knabe seine Hand auf die Schulter des Mädchens, um sie zu trösten. Doch was ihn da anblickte waren dunkle leere Augen in einem eingefallenen toten Gesicht. Kein Schrei konnte sich aus Danilos Hals lösen, als das grauenerregende Geschöpf über den Jungen gärend herfiel.(…)“

 (aus: „Danilo und das goldene Schaf“,
In: „Der weise Mann aus Yanakund – Kinder- und Hausmären aus Kharkov“ der Gebrüder Grigorjew)

 

 Gegen Ende geht die Geschichte des jungen Danilo doch noch glücklich für den jungen Torfstecher aus, hat er ja das goldene Schaf an seiner Seite. Doch die Legende von „Danilo und dem goldene Schaf“ blieb dennoch bis heute eine der eindringlichsten Warnungen vor den Gefahren der Sümpfe und dem Gräuel darin, welches der Volksmund die „Zabyt“, die Vergessenen, nennt.

Einst, so sagt man, waren die Zabyt unglückliche Seelen, Wanderer, Soldaten, Kinder und Frauen, welche die festen Wege durch die Sümpfe verließen und ihr Ende darin fanden. Keiner vermisste sie. Keiner suchte nach ihnen. Und so gab es auch keinen, der für sie das Totenlicht entzündete. Denn wenn ein geliebter Mensch in Kharkov dem Sumpf zum Opfer fällt und sein toter Körper nicht geborgen werden kann, so ist es Brauch eine Laterne mit dem Namen des Toten und Gebeten für seine Seele in der Nähe seines dunklen feuchten Grabes aufzustellen. Das Licht soll den Geist des Unglücklichen aus dem Sumpf herausführen, auf dass seine Seele durch die Gebete seinen Weg in die Ewigkeit und die Seelenruhe finden mögen.

Doch den Vergessenen, deren Tod nicht betrauert wird und deren unsterblicher Seele keiner den Weg aus dem Grab hinaus zeigt, sind auf ewig gefangen in der Dunkelheit. Die Zeit vergeht und einzig der Hass auf die Menschen, welche die Seele zurückließen und die Trauer über den Verlust des Lebens bleiben dem Zabyt. Und so verlässt ein jede Nacht das Wesen gesteuert von dem Wunsch nach Rache sein düsteres Grab und macht Jagd auf die, welche sich unachtsam den Sümpfen näheren.

Äußerlich, so erzählen die, welche den Unheiligen entkamen, ähneln sie denen, die sie eins waren, doch ihre Haut ist von blassem gelb durchzogen, ihre Augen wirken kalt und ihr Gesicht dünn und eingefallen. Ihre Kleidung ist zerrissen und verschmutzt und mit Pflanzen und Halmen aus den Tiefen der Sümpfe bedeckt. Und sie sind bedeckt von ewiger Nässe.

Vor allem von den Laternen von Wanderer werden die Zabyt angezogen. Diese erinnern sie, so scheint es, an die Wärme und den Schutz, den sie im Leben erfuhren. Denen, deren Tod noch nicht lange vergangen ist, ist es zu Weilen nicht bewusst, dass sie tot sind und sie irren durch die Sümpfe auf der Suche nach einem Ausweg aus der Dunkelheit in der ihre Seele gefangen ist. Sie sehnen sich nach dem Gefühl von Leben und Wärme. Jene, die schon vor viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte ihr Ende in den Sümpfen fanden, sind durchfressen von Hass und trachten danach zu zerstören, was sie ans Leben erinnert. Doch allen Zabyt ist die Wut auf die Lebenden und der Wunsch nach Vergeltung für ihr Vergessen gleich.

In dem Märchen von Danilo und dem goldenen Schaf, schafft es Danilo der Zabyt durch die Zauberkraft des Schafes zu entkommen. Er kehrt wieder in den Sumpf zurück mit dem Namen des verstorbenen Mädchens, seiner Schwester wie sich herausstellt, und führt ihre Seele durch das Totenlicht aus dem Sumpf heraus. Danilo konnte den Namen der Zabyt herausfinden und ihre Seele so von dem dunkeln Fluch befreien. Welches sonst wirksame Waffen gegen die Zabyt sind, darüber gibt es viele Meinungen. In einigen Dörfern berichtet man, man müsse den Zabyt ein lebendiges Opfer bringen, eine Kuh oder ein Schaf, um den Geist zu besänftigen. Einige Bauern hängen Talismane in die Bäume, die sie schützen sollen, oder werfen Amulette in die Sümpfe, andere widerrum empfehlen Kreise aus Salz, die die Zabyt bannen sollen. Auch das Bergen, Sengen und Verbrennen der Leichen, was jedoch die Weiten und Tiefen der Sümpfe unmöglich macht, soll den Fluch der Zabyt lösen.

 Sicher ist, dass offenes Feuer in ihnen Angst erweckt, zumindest für eine kurze Zeit. Auch Schwert und Axt können vor allem die Körper der jungen Zabyt, deren Tod nur ein paar Jahre vergangen ist, zerschlagen. Doch wird der Fluch hierdurch nicht aufgehoben und die Zabyt kehren nach einer Weile wutentbrannter als zuvor wieder.

 Je älter der Zabyt, daher je länger sein Tod vergangen ist, um so mehr trennt sich das Wesen von dem was es einst war und seine Macht und Stärke scheinen durch den Hass und die Trauer der Jahre zu gedeihen. Nur wenige denen sie begegnen entkommen mit dem Leben.

Was kann uns vor solchen Gefahren schützen? Von dem größten Schutz vor diesen grausamen Kreaturen spricht die Moral des alten Märchens:

 „So Knabe, halte dich fern von verlassenen Wegen. Bleibe stets auf festen Grund und bei Mütterchen Kharkov meide die düsteren Moore in finsterer Nacht!

 

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