Der Fall der Schatten

 

Es war ein kalter Tag. Die Sonne schob sich langsam über die Bergkette im Osten und tauchte das Hochplateau der Silberberge in ein graues Zwielicht. Nur die Mitte des Plateaus schien von der Sonne gemieden zu werden und die steile Felsnadel die sich dort erhob blieb trotz der Dämmerung eines neuen Tages in Dunkelheit gehüllt. Denn auf ihrer Spitze ruhte die schwarze Festung des Kultes der Schwarzen Flamme, auch bekannt als der Orden der Schatten. Und das, was sich in der Festung zutrug, lehrte sogar die Strahlen des himmlischen Lichtes das Fürchten.
Doch als sich die Sonne weiter erhob wurde ihr Licht eingefangen und reflektiert. Tausende von Lichtstrahlen brachen sich in hunderten von blanken Schilden und Schwertern, weißen Bannern und Wappen und in den Gesichtern von entschlossenen Männern und Frauen. Das Heer der Gemeinschaft hatte sich bis zur Festung des Orden vorgekämpft und diese düsteren Mauern stellten das letzte Hindernis zwischen ihnen und dem Sieg dar. So nah war das Ziel, doch auch so fern, wenn man diese Feste betrachtete. Das Heer der Gemeinschaft wurde rechter Hand flankiert von einer weiteren wenn auch kleineren Streitmacht. Dort standen sie; das, was von den Rittern der Nacht, einem der stolzesten Ritterorden Galladoorns, übrig war. Wenn auch stark geschwächt war ihr Siegeswille ungebrochen.
Die vereinten Armeen waren durchs Land gezogen und hatten alle Kreaturen der schwarzen Flammen niedergeworfen, die sich ihnen in den Weg stellten; doch ob sie nun auch noch stark genug sein würden diese Festung einzunehmen?
Es gab nur einen Weg dies herauszufinden. Alles blickte nun gespannt zur Mitte der Streitmacht wo die drei Patriarchen, die acht Oktarchen und der erste Ritter der Nacht standen. Neben ihnen trafen einige Novizen noch die letzten Vorbereitungen an einem riesigen Ritualkreis. Alle hofften, daß dieser Tag die Wendung in der Schlacht bringen würde. In der Runde der 12 sprach niemand, doch die Blicke die sie tauschten sagten mehr als jedes Wort. Die Oktarchen verteilten sich auf das Heer. Sie würden während des Kampfes Augen, Ohren und Stimmen der Patriarchen sein. Der erste Ritter der Nacht, Eric von Leutern, bestieg sein gepanzertes Roß. Er sprach aus was alle dachten als er sagte:
„Möge der große Drache mit uns sein. Wenn wir diese Schlacht verlieren, wird es keine Hoffnung für beide Königreiche mehr geben. Wir müssen Siegen, egal was es kostet. Dies mag vielleicht ein guter Tag zum Sterben sein, doch vorbei ist er noch lange nicht.“ Dann ritt er davon.
Die Patriarchen blickten sich an. Jeder wußte was zu tun war. Die Patriarchen von Liebe und Wahrheit, Andaron und Shandra, begaben sich zum Zeremonieplatz; die Patriarchin des Mutes, Lady Lorian, schnallte sich das Bündel weißen Stoffes auf den Rücken, das sie wärend des ganzen Weges begleitet hatte. Als sie ihre Robe abwarf kam darunter ein silberner Plattenpanzer zum Vorschein und als sie so durch die Menge ritt war jedem bewußt das der entscheidende Zeitpunkt gekommen war.
Plötzlich kam ein kleiner silberner Vogel über das Plateau geflogen. Er steuerte zielsicher auf den Ritualplatz zu und landete auf dem ausgestreckten Finger von Andaron. Der Vogel zirpte und trillerte etwas und verwandelte sich dann in einer Wolke aus Dampf und Silberstaub. Andaron hob die Hand an die Schläfe und übermittelte den anderen was der Vogel ihm berichtet hatte. Er und Shandra verließen den Ritualplatz und auch Lorian sowie die Oktarchen und auch Eric von Leutern sammelten sich wieder im Zentrum des Heeres. Und das Warten begann. Die Zeit schien still zu stehen. Sekunden wurden zu Minuten und Minuten zu Stunden.
Doch als die Sonne am höchsten stand kamen sie. Zuerst konnte man sie nur hören. Ein leichtes Vibrieren der Erde, die unter den Hufen hunderter Pferde erbebte, war zu spüren. Und als die erst Soldaten durch den engen Paß auf das Plateau traten war jedem klar, auf wen man gewartet hatte. Die ersten zwei Bannerträger machten es deutlich. Zur Linken der grüne Baum auf gelbem Grund, zur Rechten der schwarze Turm auf grün-weiß. Die beiden kriegführenden Reiche hatten ihren Zwist beigelegt und waren mit ihrem vereinten Heer dem Ruf der Gemeinschaft gefolgt. Als sich nun die Recken Eichenhains und Zwingerns in die Reihen der Gemeinschaft eingliederten und das schwere Kriegsgerät aufbauten, das sie mitgebracht hatten, da schien die schwarze Festung zu schrumpfen und war nun nicht mehr so bedrohlich wie zuvor. Auch König Siegmund von Eichenhain und König Hellbronn III. von Zwingern kamen zum Ritualplatz, wo eine letzte Besprechung der Taktik stattfinden sollte. Als sich der Kreis der nunmehr vierzehn erneut bildete und alle ihr Platze einnahmen, war der richtige Zeitpunkt gekommen.
Mit dem Beginn des großen Rituals begann auch die entscheidende Schlacht. Die Soldaten der Königreiche griffen zuerst an. Ihre Aufgabe sollte es sein die Mauern der schwarzen Festung zu stürmen. Mit ihnen gingen die Exarchen, um nun den Sinn ihrer harten Existenz zu erfühlen. Sie sollten das Tor der Feste einreißen.
Auch wenn die Fanatiker des Ordens in der Burg zahlenmäßig unterlegen und nicht gut ausgebildet waren, so leisteten sie doch starke Gegenwehr. Viermal lief man gegen die Festung an und viermal wurden die Kämpfer des Lichtes zurückgeschlagen. Erst beim fünften Ansturm konnten die Leitern lange genug an den Mauern gehalten werden, daß es einigen Kriegern gelang über die Zinnen zu klettern. Doch auch der Kampf auf der Mauer war nicht leicht zu gewinnen. Erst als die schwere Infanterie Zwingerns die Zinnen erreicht hatte, wendete sich das Blatt zu Gunsten des Lichtes. Nun konnten die Exarchen das Tor erreichen. Sie bildeten einen Halbkreis vor dem Tor, legten die eine Hand auf die Schulter des nächsten und hoben die andere in Richtung des Tores. Sie begannen ihren Zauber zu wirken und der Große Drache sendete durch sie seine Macht. Ein gleißendes Licht schoß von ihren Händen vor, traf das Tor und es zerbarst in tausend Teile. Die Schattenkrieger, die sich dahinter gesammelt hatten, wurden hinweggefegt. Doch auch die Exarchen fielen. Die durch sie strömende Kraft war zu viel für einen sterblichen Körper. Sie hatten ihre letzte Pflicht erfüllt und konnten nun in Frieden die letzte Reise antreten.
Die königlichen Soldaten stürmten durch das Tor und schlugen die wenigen, übrigen Verteidiger nieder. Als das große Ritual seinen Höhepunkt erreichte, hatten die Soldaten den ersten Burghof genommen.
Das Tor zum zweiten Burghof war nicht so groß und so schwer wie das erste Tor und so brachten die Soldaten einen großen Rammbock mit dem sie das Tor aufbrechen wollten. Doch die Flügel des Tores schwangen auf und eine Horde untoter Kreaturen gefolgt von einer Gruppe gepanzerter Schattenkrieger quollen daraus hervor. Die ersten Soldaten starben wo sie standen, ohne jemals zu erfahren was sie getötet hatte. Aber nun griff die Hauptstreitmacht der Gemeinschaft, angeführt von den Rittern der Nacht, in die Schlacht ein. Das Gemetzel war schrecklich. Mensch gegen Höllenkreatur, düsterer Stahl gegen sterbliches Fleisch. Eric von Leutern sammelte seine Ritter um sich und mit einem Sturmangriff brachen sie die feindlichen Reihen auf und preschten den Weg zum zweiten Burghof entlang.
Doch die Siegesschreie der Ritter endeten, als plötzlich eine schwarze Flamme aus dem Tor hervor stieß und die ersten fünf Ritter einschließlich Eric von Leutern, zu Asche verbrannte. Im selben Moment begannen vom Bergfried Blitze und Feuer hernieder zu regnen. Die Schwarzmagier griffen in die Schlacht ein und trieben die Angreifer in die Defensive. Aus dem Tor zum zweiten Hof schob sich ein riesiges schwarzes Wesen. Es erinnerte an eine Schlange, allerdings mit einem menschlichen Totenschädel als Gesicht. Die Krieger, die sich ihr in den Weg stellten, verbrannte es mit ihrem Odem aus schwarzem Feuer oder verschlang sie komplett. Doch am Fuße der Felsnadel ging das große Ritual der Patriarchen zu Ende. Auf dem Platz öffnete sich ein großes Portal zur himmlischen Ebene des Lichts. Und aus ihm traten zwei Streiter des ewigen Guten, gehüllt in weiße Gewänder und goldene Panzer und jeder hatte auf dem Rücken ein paar mächtige Schwingen. Sie hatten das Bitten der Patriarchen um Hilfe gehört und waren diesem Ruf gefolgt. Andaron deutete auf den höchsten Turm der Festung. Die beiden überirdischen Krieger nickten und erhoben sich in die Luft. Als sich die Aura der Engelswesen über dem Schlachtfeld ausbreitete wurden die Herzen der Galladoorner mit neuem Mut und die der dunklen Schergen mit Panik erfülltIm Burghof hatte Lorian Schild und Streitkolben fortgeworfen. Sie nahm das Bündel weißen Stoffes von ihrem Rücken und begann es auszuwickeln. Ein goldenes Licht erfüllte den Burghof als sie das heilige Schwert des Drachen in die Luft hob. Die weiße Klinge strahle und leuchte und überall wo das Licht auf ein untotes Wesen schien, wurde es zu Staub verwandelt und von seiner jämmerlichen Existenz erlöst. Sie sammelte die Seraphen, die Paladine des Drachen, um sich und trat der schwarzen Schlange entgegen. Diese wurde durch das göttliche Licht zurückgedrängt, denn sie spürte die Präsenz des Drachen. Sie zuckte und spieh ihr Feuer doch die Flammen wurden von der heiligen Klinge einfach aufgenommen. Mit ihrem Kampfschrei auf den Lippen griffen die Seraphen, geführt von ihrem Oberhaupt Lorian und beschützt durch das heilige Schwert, die dunkle Ausgeburt der Hölle an.
Viele der Seraphen fielen, doch keiner ging unter ohne dem scheußlichen Wesen nicht wenigstens eine tiefe Wunde zu schlagen. Lorian sah mit Grauen wie ihre Krieger um sie herum starben, doch die Schlange war zu schnell und sie mußte immer wieder dem gewaltigen Kiefer ausweichen, der sie zu verschlingen drohten. Doch als die Schlage erneut einen Seraphen tötete, indem sie das Ende ihres Schwanzes um seinen Kopf legte und ihn zerquetschte, beschloß sie alles zu wagen. Jede Deckung aufgebend sprang sie nach vorne und schlug der finsteren Kreatur eine tiefe Wunde. Die Schlange bäumte sich auf und stieß von oben auf Lorian herab. Doch anstatt sich in Sicherheit zu bringen, umfaßte Lorian das magische Schwert mit beiden Händen und streckte es steil nach oben, der Kreatur entgegen. Der Schlund der Schlange senkte sich über sie. Man sah nur die Spitze des Schwertes wie sie aus dem Hinterkopf der Schlange wieder austrat. Sie erstarrte in der Bewegung. Nichts schien sich zu bewegen, als sei die Schlacht für einen Moment zum Stillstand gekommen.
Dann begann die Schlage sich aufzulösen. Sie verfloß vor den Augen aller und wurde vom Boden verschluckt. Übrig blieben nur Lorians lebloser Körper und das heilige Schwert. Nun gab es für die Krieger der Gemeinschaft kein Halten mehr. Ihre Trauer über den Verlust eines Patriarchen wurde nur noch durch den unbedingten Siegeswillen, das zu Ende zu bringen wofür sie gestorben war, übertroffen.
Als dann auch der Bergfried von einer Explosion himmlischen Lichtes erschüttert wurde und die beiden überirdischen Krieger, denen die Magie der Sterblichen nur wenig anhaben konnte, die schwarzen Hexer vernichteten, war die Schlacht entschieden. Die restlichen Kämpfer sammelten sich, erstürmten den zweiten Burghof und stiegen in die düsteren Katakomben hinab um auch die letzten schwarzen Kreaturen und ihre Gebieter zu vernichten.
Es war schon kurz vor dem Morgengrauen, als sich die letzten Oktarchen, Seraphen und Defensoren sich auf dem Burghof sammelten. Sie alle hielten Fackeln in den Händen und bildeten einen Kreis. In ihrer Mitte waren Lorians Leiche und Shandra, Patriarchin der Wahrheit. Sie war zum Ende der Schacht in die Burg gekommen, während Andaron sich um die Verletzen kümmerte. Nun kniete sie über dem Körper ihrer toten Freundin. In der einen Hand hielt sie einen schwarzen Zylinder, der aussah als käme er aus der Hölle selbst, mit der anderen umklammerte sie den Griff der heiligen Klinge. Das schwarze Artefakt, das Shandra aus dem tiefsten Keller der Festung mitgebracht hatte, funkelte in düsteren Farben wenn das Licht des Schwertes es traf.
Dann stand sie auf, im Kreis der Umstehenden bildete sich eine Gasse und sie wandte sich zu gehen.
Als sie einige Schritte gemacht hatte trat Oswin, Oktarch der Gerechtigkeit, vor und fragte:“Was sollen nun hiermit geschehen“ und deutete dabei auf die Festung.
Shandra blieb stehen. Schließlich sprach sie ohne sich umzusehen:
„Brennt alles nieder, auf daß kein Stein mehr auf dem anderen bleibe. Laßt sie brennen, als ein Leuchtfeuer für all jene, die guten Gewissens und reinen Herzens sind, auf daß sie nun wieder ruhig schlafen können. Und laßt es eine feurige Botschaft sein für alle, die es wagen sollten, sich gegen das Leben zu stellen. Denn der Sturm des Lichts wird auch sie hinwegfegen und auch bei ihnen wird das Ende das Feuer sein.“