Die Flusswölfe – Kharkovs Flusspiraten

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Erzählt manches Volkslied und so manche Sage von dem gar so ehrenhaften Treiben edler Flusspiraten, berichten hingegen Händler, welche ihre Waren auf den großen Flüssen Kharkovs verschiffen von ganz anderen Gesellen.

In ihren kleinen wenigen Kähnen fallen die „Flusswölfe“, wie sie sich selbst nennen, in großer Zahl über die oft schwerfälligen Boote der Händler her. Versteckt in Buchten und verborgen hinter kleinen Inseln, verkleidet sogar als einfache Fischer warten sie dort auf die Beute, um plötzlich und ohne Vorankündigung, einem Rudel wilder Wölfe gleich, von mehreren Seiten über ihr Opfer herzufallen und zu kapern. Ihre schiere Anzahl ist es, welche eine Gegenwehr zwecklos erscheinen lässt, treten doch jeden ehrlichem Bootsmann sieben hungrige Wölfe entgegen.

Nur wenig ist über den Aufbau dieser plündernden Gruppen bekannt. Zumeist leben ihre Mitglieder als einfache Bauern und Hirten. Schlechte Ernten oder kalte Winter trieben sie einst dazu, sich den Flusswölfen anzuschließen, um ihren kläglichen Verdienst auf dem Felde durch solch niederträchtiges Treiben aufzubessern. Schnell gewöhnt an das zusätzliche Silber in den Taschen lebten sie fortan ein Doppelleben als Bauer und Räuber, Lamm und Wolf.
Erfahrene Flusswölfe sind nicht gierig. Statt ihre Boote mit allem zu beladen, dem sie Herr werden können, entwenden sie stets nur das in ihren Augen wertvollste oder brauchbarste, auf dass ihre schmalen kleinen Boote auch bei der Flucht sich noch wenig und schnell im Wasser bewegen. Schwer wird es dem gemacht, welcher versucht, die Räuber zu verfolgen, trennen sich die Boote der Wölfe doch nach erfolgreicher Jagd in jedwede Richtung. Dort von ihrer Besatzung in vorbereiteten Verstecken an unzugänglichen Ufern verborgen warten sie unter Decken aus Schliff, Gras und Ästen bis sich die Wellen gelegt haben.

Gestohlen wird nur jenes, welches sich leicht verkaufen und tauschen lässt oder gar im eigenen Heim Gebrauch findet. Obgleich sich seit einigen Jahren, so erzählt man sich, auch immer mehr findige Hufschmiede etwas mit dem schmelzen von fremden Silber und Gold dazu verdienen sollen. Und so mancher listige Händler weiß, bei welchem Ziegenhirten er nach Einbruch der Nacht edle Stoffe für die Damen des Zarenhofes günstig erwerben kann.
Manch Händler, welcher in der Taverne von den Begegnungen mit den Wölfen der Flüsse erzählt bekam, hielt schon bei Abfahrt Kisten und Fässer bereit, welche er bei Sicht der ersten räuberischen Kähne über die Reling und wortwörtlich „den Wölfen zum Fraße“ warf, begleitet von stiller Hoffnung, dass diese sich mit der leichten Beute zufrieden geben mögen.

Doch Händler sei gewarnt! Keine Dummköpfe sind diese Gauner. Auch wenn schon der ein oder andere Pfeffersack prallte die Flusspiraten mit Kisten nutzlosen Plunders hingehalten zu haben, bekam er beim nächsten Beutezug die Rache der Banditen und ihren derben Sinn für Spaß zu spüren. Und so begibt es sich, dass man noch heute bei einem guten Schluck in der Hafentaverne sich die Geschichte vom geizigen Pawel erzählt, den die Wölfe zur Warnung nackt und kopfüber an den Mast des eigenen Bootes festbanden.

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